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Das gibt's doch gar nicht?

Echte Makroaufnahmen mit dem Telezoom

Von Klaus Henkel

Ein Telezoom ist auch dann, wenn der Hersteller es großzügig Makro-Zoom nennt, kein echtes Makroobjektiv. Ich kenne nur ein einziges Zoom, das für Makroaufnahmen auf nahe Abstände korrigiert ist: das Zeiss Tessovar. Es ist aber kein Wechselobjektiv, sondern steckt fest montiert in einer speziellen Makroaufnahmeapparatur. Da ein Objektiv trotz aller Schärfentiefeneffekte immer nur in der tatsächlichen Einstellentfernung absolut scharf zeichnen kann, sind alle Objektive mit veränderlicher Brennweite ("Zooms" oder "Gummilinsen" wie man ganz früher sagte, oder "pankratische Systeme" wie man sie technisch-wissenschaftlich nennt) mit so vielen optischen Kompromissen behaftet, daß es zu viel verlangt wäre, sie auch noch auf Makroaufnahmen zu optimieren. Man muß schon froh sein, wenn es dem Optikkonstrukteur gelingt, daß man den Bildern den Kompromiß nicht schon in den normalen Entfernungsbereichen ansieht. Bei gut konstruierten Zoomobjektiven bemerkt man den Kompromiß kaum, bei den neueren ist die Abbildungsleistung mitunter so gut, daß die Unterschiede zu Objektiven mit fester Brennweite sich nur noch im Gewicht und in der Lichtstärke ausdrücken.

Recht gut für Makroaufnahmen eignen sich hingegen Normal-Objektive, die annähernd symmetrisch aufgebaut sind, zum Beispiel die "Doppel-Gaußtypen" à la Leica Summaron, Rodenstock Heligon, Schneider Xenon, Zeiss Planar. Einerseits reagieren sie von ihrer Korrektion her nicht empfindlich auf starke Abweichungen von dem Abbildungsmaßstab, auf den sie der Optikkonstrukteur optimiert hat. Andererseits kann man sie bei größeren Abbildungsmaßstäben als 1:1 mit Gewinn an Abbildungsqualität in der Retrostellung einsetzen: Man dreht das Objektiv um, so daß es mit der Frontlinse zum Film zeigt. Für diesen Zweck gibt es im Handel sogenannte Umkehrringe. Der Vorteil ist, daß nun bei Makroaufnahmen die Hinterlinse des Objektivs, die jetzt als Frontlinse fungiert, einen kleineren Abstand zum Motiv hat als die jetzt als Hinterlinse wirkende Frontlinse zum Film. Damit wird das Verhältnis von Bildweite zur Objektweite auch im Makrobereich so, wie es für ein Normalobjektiv vorgesehen ist, es kann die ihm zugedachte Abbildungsleistung ausschöpfen.

Für Zoomobjekive mit veränderlicher Brennweite gilt das jedoch nicht, denn ihr Aufbau ist das Gegenteil von symmetrisch, und ihre Abbildungsleistung außerhalb des ihnen zugedachten Abbildungmaßstabes ausgesprochen dürftig. Deshalb begrenzen die Hersteller die Einstellmöglichkeiten für den Nahbereich bei solchen Objektiven, größere Abbildungsmaßstäbe als um 1:3 herum sind mit ihnen nicht möglich. Der "ernsthafte" Makrofreund ließ sie deshalb bisher links liegen. Bisher. Der ernsthafte Makrofreund muß jetzt umlernen!

Als ich kürzlich bei Novoflex in Memmingen war und mit dem Geschäftsführer Herrn Hiesinger über Objekive sprach, die sich grundsätzlich für Aufnahmen in Retrostellung eignen, nämlich die traditionellen Sechslinser, da nickte er bestätigend. Doch dann stellte er, verschmitzt lächelnd, eine Canon-Autofocus-Spiegelreflex vor mich auf den Tisch. Für Canon-Kameras baut Novoflex nämlich einen Blendensteuerungsring mit elektrischer Übertragung der Blendenwerte und elektrischer Steuerung der automatischen Vorwahlblende.

Canon mit Telezoom in Retrostellung

Hier sehen Sie die Kamera. Das Objektiv sitzt in Retrostellung, mit seiner Frontlinse zur Kamera, in einem Umkehrring, und die Hinterlinse mit dem Kamerabajonett zeigt zum Fotomotiv. Vor dem Objektiv, am Bajonett: der Blendensteuerungsring mit dem Elektrokabel zur Kamera. Dieser Ring ist zweckmäßigerweise so gestaltet, daß er als Streulichtblende wirkt. (Im Bild sehen Sie ein Zoom 28–105 mm, ich spreche jedoch von einem Zoom 28–135 mm.)

Ich fragte konsterniert: "Mit einem Zoomobjektiv 28 bis 135 mm Brennweite? Das kann ja wohl nicht angehen, das gibt nie und nimmer scharfe Qualitätsaufnahmen." Herr Hiesinger gab zu, auch einmal so gedacht zu haben, dann führte er mich in den Projektionsraum und ließ es sich nicht nehmen, mir zwei Diamagazine vorzuführen und zu kommentieren. Es waren alles Aufnahmen, die mit besagter Kamera und besagtem Objektiv aufgenommen worden waren. Ich war platt. Weil ich hätte schwören können, die zum Teil extremen Makroaufnahmen seien mit Luminaren von Zeiss oder Photaren von Leitz gemacht worden – mindestens.

Herr Hiesinger ließ mir Zeit zum Nachdenken. Langsam dämmerte es mir. Die Frontlinsengruppe der Telezooms ist ja wegen der zerstreuenden Linsenglieder vor der Blende von beachtlichem Durchmesser:

Linsenanordnung Weitwinkel
Linsenanordnung Tele

Abb. aus: Solf, K.D.: Fotografie. Grundlagen, Technik, Praxis.
Überarbeitete Neuausgabe, Fischer Taschenbuch 1986.

Setzt man ein solches Objektiv in Retrostellung vor die Kamera, so ist nun die Hinterlinse (die eigentliche, riesige Frontlinse), so groß daß nur ein ganz schmales Lichtbündel für die Bilderzeugung auf dem Film verwendet wird. Die Strahlen, die alle mehr oder weniger um den Mittelpunktstrahl herum liegen, dort wo der Optikkonstrukteur selbst bei einem kompromißbehafteten Zoomobjektiv keine wesentlichen Probleme der Optimierung hat. Die liegen ja hauptsächlich in den Randzonen. So ist die ausgezeichnete Abbildungsleistung erklärlich.

Herr Hiesinger habe, weil er selber so verblüfft über die phantastische Abbildungsqualität war, Fachleute von Zeiss gefragt und zur Antwort erhalten: ja, stimmt, das wisse man.

Und das zweitbeste kommt noch: In der abgebildeten Retrostellung fokussiert man von unendlich (!) bei längster Brennweite stufenlos bis in den allernächsten Makrobereich, so nah am Motiv, daß es fast den Frontring berührt. Abbildungsmaßstab etwa 3:1. Ohne sperriges Balgengerät, mit einem Universalobjektiv. Und der elektrische Blendensteuerungsring sorgt dafür, daß die ganze Kombination in Offenblendenmeßtechnik funktioniert, genau so wie ein echtes Makroobjektiv. Im Gegensatz zu einem Makroobjektiv hat man aber mehrere Brennweiten und kann ohne zusätzliche Hilfsmittel wie Zwischenringe oder Balgengerät in den extremen Nahbereich eindringen. Ein einziges Objektiv: Als Universal-Zoom für Landschaft, Portrait usw.; und dasselbe Objektiv in Retrostellung als Universal-Makroobjektiv.

Es macht selbstverständlich keinen Sinn, ein allzu billiges Telezoom zu verwenden. Es muß schon ein sehr gutes Objektiv sein, damit die für den Makrobereich notwendige Auflösung und Kontrastwiedergabe auch vorhanden ist und auch die Bilder „Spitze" werden. Jedenfalls waren die Aufnahmen, die ich bei Novoflex sah, absolut erstklassig, makellos, superscharf, kontrastreich. So wie sie sich der Makrofreund wünscht.

P. S.
Wenn Sie an Makrofotografie interessiert sind, halten sie die Augen offen. Zur kommenden Photokina erwarte ich von Novoflex wieder einige Makro-Schmankerl, darunter eine echte Neuigkeit, die sich Makrofreunde in aller Welt schon lange wünschen.


Dieser Artikel wurde erstmals in unserer Vereinszeitschrift µ Nr. 20 (September 2000) veröffentlicht.



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