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Mouches volantes

Vom sogenannten Mückensehen

Erscheinungen - Abhilfen - Hintergründe


Von Mario Stolz


Das kennen wir doch alle: wenn wir ungefärbte, zarte Präparate betrachten, beispielsweise Plankton, winden sich krumme, kurze oder lange Fäden oder Schlieren durchs Gesichtsfeld. Will man sie "ins Auge fassen", verziehen sie sich eilig an den Rand, um perfid wiederzukehren, wenn wir sie verscheucht zu haben glauben. Dieses "Mückensehen" (franz. mouches volantes - fliegende Mücken, engl. floaters - "Schweber") ist völlig normal, weil es im gesunden Auge immer auftritt. Augenwischerei nützt hier gar nichts, hellere Beleuchtung auch nicht.

Die physikalischen Grundlagen interessieren uns zuerst. Eine präzise Antwort gibt BEYER (1988): "... daß bei Vergrößerungen, die den Bereich der förderlichen Vergrößerung überschreiten, die Austrittspupille und damit der Querschnitt der ins Auge eintretenden abbildenden Strahlenbündel so klein werden, daß feine Inhomogenitäten des Auges störend in Erscheinung treten" (entoptische Erscheinungen); und: "wirft jede Inhomogenität einen Schatten auf die Netzhaut, der langsam durch das Bild wandert." Das immer noch nützliche "ABC der Optik" (1961) bringt unter dem Stichwort entoptische Erscheinungen, wie das vornehm heißt, "...die durch anatomische Gegebenheiten des Augeninnern bedingt sind, aber subjektiv in den Außenraum vor dem Auge lokalisiert werden."

Ein brauchbares Rezept zur Abhilfe ist demnach einfach. Wir sorgen für korrekte Lichtführung, indem die Aperturblende (am Kondensor) nicht enger geschlossen wird als nötig. Die berühmte Formel Vf = max. 500 bis 1000 x n. A. gilt eben nur für die volle Kondensorapertur. Nun ist es klar, daß wir die Blende zuziehen müssen, um genügenden Kontrast zu erhalten. Damit verringert sich aber die numerische Apertur und im Extremfall wird eben V überschritten. Die Erscheinung läßt sich auf diese Weise nur mildern. Wollen wir sie überlisten, können wir die Flucht ins Dunkelfeld antreten! Man täusche sich aber nicht über die Tatsache, daß wir damit nur die Oberflächen besser sehen, während wir beim Blick ins Innere der Objekte immer auf Hellfeld oder Phasenkontrast angewiesen sein werden. Objektive höherer Korrektur (Fluoritsysteme, Apochromate) und passende Okulare hätten gerade den Vorteil, daß weniger stark abgeblendet werden müßte und die Nenn-Apertur besser ausgenutzt werden könnte als bei Achromaten. Damit könnten wir zufrieden sein.

Nun möchten wir aber doch noch gerne wissen, wie die "Inhomogenitäten" beschaffen sind. Dabei erweist sich der Glaskörper (Corpus vitreum) als deren Sitz. Zur Konsistenz oder Beschaffenheit des Glaskörpers findet man in der Literatur die folgenden Ausdrücke:

  • zum größten Teil aus Wasser bestehende, klare, gallertartige Substanz;
  • weiche, gallertartige Masse;
  • seine gallertartige Konsistenz wird durch den hohen Hyaluronsäuregehalt bestimmt;
  • besteht zu 98 bis 99% aus einer wässerigen Flüssigkeit. Durch ein feinfädiges Gerüst erhält er seine gallertartige Konsistenz. Brechungsindex 1,3315 bis 1,3463 (Vergleiche: Wasser 1,333, Luft 1).
  • besteht aus einer flüssigen Substanz und dichteren oder lockeren Faserzügen, welche nach allen Richtungen durch die Flüssigkeit ausgespannt sind.
  • Die erwähnten Fasern kommen für unser Problem kaum in Frage.
  • Über die Natur oder Herkunft der Inhomogenitäten sagt Bucher (1973): "Geringgradige Glaskörpertrübungen, die zum Beispiel beim Mikroskopieren mit starker Vergrößerung stören können, finden sich normalerweise in fast jedem Auge."

Das ist nicht gerade hilfreich, und der Ausdruck "mit starker Vergrößerung" ist nicht präzis. Erstaunlicherweise gibt die alte, während Generationen verbreitete Histologie von Stöhr (1924) schon mehr her: "Die im Glaskörper befindlichen Zellen sind

  1. runde Formen, wahrscheinlich Leukozyten;
  2. als Ausnahmen stern- und spindelförmige Gebilde, Bindegewebszellen, die in embryonaler Zeit mit den später wieder verschwindenden Blutgefäßen in den Glaskörper gelangt sind. Zellen, die helle Blasen (Vakuolen) enthalten, sind wahrscheinlich Untergangsformen."

Ein weiterer Hinweis enthält das ABC der Optik: "Hiezu gehören die unter gewissen Bedingungen wahrgenommenen Netzhautgefäß-Schatten, die wir als fliegende Mücken bezeichneten, Schatten feiner Glaskörpertrübungen auf der Netzhaut, sowie die durch Trübungsstellen der Hornhaut oder Linse verursachte Verschattung des Gesichtsfeldes." Das ist übrigens die einzige Quelle, die auf Hornhaut, Linse und Netzhaut als möglichen Sitz hinweist.

Über die embryonalen Blutgefäße, deren Rest wohl hauptsächlich die vielzitierten "Mücken" ausmachen, schreibt Stöhr: "Beim Embryo geht die Arteria hyaloides durch den Glaskörper zur hinteren Linsenfläche. Sie bildet sich schon vor der Geburt zurück, der sie einschließende Kanal jedoch läßt sich oft noch im Glaskörper des Erwachsenen nachweisen. Er heißt der Cloquetsche Kanal oder Canalis hyaloides. (Hyaloides bedeutet glasartig, hyalin gläsern, im Sinne von durchsichtig.) Eine geeignete Illustration des embryonalen Auges mit der Arterie, welche die Linse versorgt, entnehmen wir Feneis (1967). Die Linse wird nachher durch Diffusion versorgt.

Damit glauben wir, das Wichtigste gefunden und gesagt zu haben.



Literatur
ABC der Optik. Verlag Werner Dausien, Hanau 1961
Beyer, H. (Hrsg.): Handbuch der Mikroskopie. VEB Verlag Technik, Berlin 1988, S. 114.
Bucher, O.: Cytologie, Histologie u. mikroskopische Anatomie d. Menschen. Verlag Huber, Bern 1973.
Feneis, H.: Anatomische Bildnomenklatur. G. Thieme Verlag, Stuttgart 1967.
Stöhr, P.: Lehrbuch der Histologie. G. Fischer Verlag, Jena 1924.



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