100 Jahre      Mikrobiologische Vereinigung München e. V.     1907 - 2007
 


Über Mikrofotografie

Serie von Klaus Henkel

Das Luftbild im Fadenkreuz

Erst der Blick auf Tegernsee macht das Mikrofoto scharf


Eine merkwürdige Behauptung in der Unterüberschrift. Sie stimmt aber, und das hängt mit den Meßkeilen und unseren vor-äffischen Vorfahren zusammen.

Zunächst zum Luftbild. Was ist das eigentlich? Wir bedienen uns gedanklich der Versuchsanordnung, die F. K. Möllring (1980) mit vielen anschaulichen Abbildungen erläutert. Wer anderen die Funktionsweise eines Mikroskops auf einfache Weise erklären möchte, sollte das unbedingt nachlesen. Mit dem Diaprojektor, dessen Strahlengang dem des Mikroskops sehr ähnlich ist, werfen wir ein Dia auf eine möglichst dünne "Leinwand", etwa auf ein weißes Papier. Dann treten wir hinter die Projektionsfläche und betrachten das projizierte Bild - jetzt seitenverkehrt - von hinten. Wir können es uns mit einer Leselupe vergrößern. Dann halten wir die Lupe fest und nehmen die papierene Projektionsfläche einfach weg. Das Bild ist noch immer da! Wir sehen es durch unsere Lupe, ohne die störende Struktur des Papiers, jetzt "feiner", schärfer, aber sehr zart. Das ist das "Luftbild", wir sehen es nicht auf einer festen Projektionsfläche, sondern "freischwebend in der Luft". Auf die prinzipiell gleiche Weise sehen wir auch das Bild im Okular eines Mikroskops.


Die Einstellscheibe in der Kamera

Auf einer Mattscheibe in der Mikrokamera kann man nicht scharfstellen. Das Korn oder Raster der Mattscheibe ist gröber als die feinen Details des mikroskopischen Bildes, auf die man scharfstellen möchte (wie die Rückseite des groben Projektionspapiers). Außerdem sind Mattscheiben Lichtschlucker, das Einstellbild im Kamerasucher ist finster und undeutlich, wenn die Kamera auf dem Mikroskop montiert ist. In modernen Kleinbild-Spiegelreflexkameras (Single-Lens-Reflex Camera - SLR) mit Leica-Format 24x36 mm gibt es deshalb keine Mattscheiben mehr, höchstens als auswechselbares Sonderzubehör. Man nennt sie heute Einstellscheiben, denn sie sind nicht einfach nur mattiert, sondern ihre "matte" Seite besteht aus mehreren zehntausend winzigen Mikroprismen, die durch einen Lichtsammeleffekt ein helleres Bild bieten als echte Mattscheiben. Objekte (Motivbestandteile), die nicht in der Schärfenebene liegen, auf die also nicht scharf eingestellt, fokussiert ist, werden optisch durch die Mikroprismen "zerrissen". Wir betrachten eine moderne Einstellscheibe.

Einstellscheibe (Aufsicht)

Meßkeile (schräge Aufsicht)

Die beiden Meßkeile sind eine wichtige Fokussierhilfe. (Sie können auch bei der Justage einer Kamera auf dem Mikroskop hilfreich sein.) Es sind Klarglaskeile, die so in die Einstellscheibe eingekittet sind, daß ihr Kreuzungspunkt genau in der Bildebene liegt. Ist das Bild scharf eingestellt, so sind sie ohne Wirkung. Liegt das Luftbild vor oder hinter der Bildebene, so werden zwei gegenüberliegende Randstrahlenbündel durch die Keile so abgelenkt, daß zwei gegeneinander verschobene Teilbilder des anvisierten Motivdetails sichtbar werden, wie bei einem Meßsucher mit Schnittbildentfernungsmesser.

Die Scharfeinstellung soll bei voller Blendenöffnung erfolgen, da bei kleineren Blenden ab etwa 5,6 die Randstrahlen abgeschnitten und die Meßkeile deshalb abgeschattet sind. Im Bereich eines oder beider Meßkeile ist dann die Objektivaustrittspupille so gegenüber der Augenpupille verschoben, daß die Keile dunkel erscheinen, weil zu kleine vom Objektiv kommende Strahlenbüschel einen so großen Abstand haben, daß sie nicht mehr beide zusammen in die Pupille des beobachtenden Auges eintreten können. Ist der wirksame Blendendurchmesser im Objektiv klein, z. B. bei kleiner Blendenöffnung, langer Brennweite (Teleobjektiv) oder großem Kameraauszug (Lupen- oder Mikroaufnahmen), so ist die Scharfeinstellung mit den Meßkeilen nicht möglich. Speziell bei Nahaufnahmen stellt man dann in dem allgemeinen Feld der Einstellscheibe mit den feinen Mikroprismen scharf. Es ist ein Mikroprismenraster (Mikrospaltbildfeld), eine Einstellfläche mit mehreren zigtausend eingeschliffenen pyramidenförmigen Prismen mit der Kantenlänge von etwa 0,08 mm. Diese Prismenfläche hat die Eigenschaft, jedes nicht scharf eingestellte Bild stark zu streuen und seine Konturen in Flimmern aufzulösen; nur das scharf eingestellte Bild wird nicht gestreut. Diese Wirkung bei den winzigen Mikroprismen kommt auf dieselbe Weise zustande wie bei den Meßkeilen. Sie werden dunkel, wenn die tatsächliche Blende zu klein wird, z. B. durch Abblenden. Genau das geschieht, wenn wir eine Kamera auf das Mikroskop montieren. Infolge des "langen Auszugs" ergeben sich reale Blendenöffnungen nicht von f : 8 bis f : 32, wie wir sie durch Zwischenschalten eines Balgengerätes bewirken, sondern solche von etwa f : 64 bis f : 256! (Beispiel: An meinem Mikroskop mit Fotoobjekiv 63 mm (Verkleinerungsfaktor 0,25) und Objektiv 100:1, volle Apertur 1,30, Okular 10 x, Kleinbildformat, beträgt die Blende f : 100.) Bei so winzigen Blendenöffnungen sind Meßkeile und Mikroprismen zappenduster, das Bild dunkel, undeutlich und unscharf, wir können keine Details erkennen, nicht scharfstellen. Hinzu kommt, daß wir bei Mattscheiben oder Mikroprismenfeldern nicht wie bei einem Schnitt- oder Mischbildentfernungsmesser (Meßsucher à la Leica "M") geometrisch auf maximale Schärfe einstellen können, sondern nur - nach dem Augeneindruck - optisch auf minimale Unschärfe. Das hat Auswirkungen auf die Handhabung. Beim Meßsucher bringt man zwei Bilder einunddesselben Motivdetails zur Deckung, indem man den Fokussierring des Objektivs in die Richtung dreht, welche die beiden Bilder zusammenführt. Sind sie zusammen, dann ist auf absolute Schärfe eingestellt. Das geht sehr schnell und auch im Dämmerlicht. Bei Mattscheibeneinstellung dreht man den Fokussierring am Kameraobjektiv oder den Fokussierknopf am Mikroskop so lange hin und her - jedesmal über den Punkt der optimal erscheinenden Schärfe hinaus - bis man auf geringste Unschärfe "ausgemittelt" hat. Das dauert länger und ist nicht so verläßlich, hängt ab von der persönlichen Sehkraft, dem Ermüdungszustand der Augen, der Bildhelligkeit, dem Kontrast, der Struktur und Helligkeit des Motivs und der Mikroprismen und noch von anderen Dingen.

Aber das Ausmitteln bleibt bei einer Kamera auf dem Mikroskop reine Theorie, so dunkel und unscharf ist das Bild infolge der starken Streuung und der flimmernden Konturen. Deshalb müssen wir die normale Einstell-("matt"-)scheibe gegen eine Klarscheibe austauschen, die ein Luftbild liefert. Da sehen wir die allerfeinsten Motivdetails ohne störende Mattscheiben- oder andere Strukturen. Bei schwachen Vergrößerungen läßt sich das Luftbild nicht leicht scharfstellen, weil eine ungenaue Scharfeinstellung durch die Akkomodationsfähigkeit unseres Auges ausgeglichen wird; das täuscht gelegentlich Schärfe vor, die gar nicht vorhanden ist.

Doppelfadenkreuz Zur Scharfstellung muß eine Klarscheibe deshalb ein Doppelfadenkreuz haben. Unsere Augen stellen sich von selbst auf das Bilddetail mit dem höchsten Kontrast ein, nämlich auf die Konturen des Fadenkreuzes. Wenn wir es dann scharf sehen und gleichzeitig das Objekt, so ist scharf eingestellt. Noch viel bequemer ist ein Foto-(zwischen)Tubus zwischen Mikroskoptubus und Kamera mit eigenem Einstellokular und Doppelfadenkreuz. Und noch bequemer ein trinokularer Tubus mit Fadenkreuz in einem der beiden Okulare für direkte Beobachtung.

Soll die Kamera auch für Makrofotografie verwendet werden, für Lupenaufnahmen in Abbildungsmaßstäben von etwa 5 : 1 und mehr, oder auch am Mikroskop, ohne daß ein spezieller Okulareinblick mit Doppelfadenkreuz am Mikroskoptubus vorhanden ist, so daß man den Kamerasucher benützen muß, dann muß die Kamera mit einer echten Klarscheibe mit Fadenkreuz auszustatten sein. Man täusche sich über diesen Punkt nicht: Dieses Ausstattungsmerkmal haben nur sehr wenige Kameramodelle, und zwar meist die Spitzenmodelle, und auch die nicht alle: F 3 und F 4 von Nikon, Canon F 1, Pentax LX, Olympus OM, Leica R 4 bis R 8, Minolta X 700. Vielleicht noch das eine oder andere ganz neue Modell, von denen ja fast jeden Monat welche auf den Markt kommen. Das sind nicht viele, und Preise von 3.000 bis 4.500 Mark für etliche davon allein für ein Kameragehäuse ohne Objektiv lassen die Auswahl für manchen Mikrofreund noch weiter schrumpfen. Für die preiswerte Minolta X 700 wird eine sehr gute Klarscheibe mit Fadenkreuz angeboten, man kann sie aber nicht selbst einsetzen, sondern muß die Kamera an den Herstellerservice einsenden.

Für manche anderen Kameramodelle, deren Einstellscheiben man wechseln kann, werden ebenfalls solche angeboten, die speziell "für die Mikrofotografie" geeignet sein sollen, wenn man den Prospekten Glauben schenkt. Wir tun das besser nicht, denn diese Scheiben sind alle unbrauchbar. Es handelt sich um normale Mattscheiben mit einem "Klarfleck mit Fadenkreuz in der Mitte". Sie eignen sich jedoch höchstens für Fotos von Bakterien- und Blutausstrichen, also völlig ebenen Objekten, nicht jedoch für Lupenaufnahmen oder Mikrofotos von plastischen Objekten, die den Hobbymikroskopiker fotografisch meist mehr interessieren. Bei ihnen, z. B. Mikroorganismen, aber auch bei Handschnitten, liegen die Bilddetails ja nicht alle in derselben Schärfenebene, so daß die Bild- und Schärfebeurteilung in einem winzigen Klarfleck in der Einstellscheibenmitte im Hinblick auf das gesamte Bild völlig nutzlos ist. Das Design solcher Mattscheiben mit Klarfleck stammt aus den zwanziger Jahren, als die professionellen Mikroskopiker tatsächlich kaum etwas anderes fotografierten als Bakterien- und Blutausstriche oder histologische Mikrotomdünnschnitte. Deshalb sei wiederholt: Am besten mikrofotografiert man mit einem Trinokularen Tubus. Dann braucht man den Kamerasucher zum Scharfstellen nicht, aber für Lupenfotografie.


Wir mikroskopieren mit Fernblick

Ob Kamera-Klarscheibe, spezielles Einstellokular oder Formatstrichplatte im Okular des Tri-Tubus: Bei der Scharfeinstellung entstehen Fehler, wenn wir eine wichtige Mikroskopierregel nicht beachten: Mit "entspanntem" Auge einstellen! Darunter versteht der Augenoptiker die Fokussierung auf 6 Meter und stellt die Ablesefafeln für die Augenprüfung in dieser Entferung auf. Die Berechnung der individuellen Sehschärfe ist auf darauf bezogen. Bei dieser Einstellung sind Augenmuskulatur und die Steuerzentrale in Gehirn völlig entspannt. Der Optiker nennt diese Einstellung auf 6 Meter die "Naheinstellung auf Unendlich." Dennoch ist der Abbildungsstrahlengang in Mikroskopen und Fernrohren so berechnet, daß das Bild im Unendlichen entworfen wird. Daß unser Auge diese Diskrepanz nicht als störend empfindet, ist in der Konstruktion der Retina bzw. der lichtempfindlichen Schicht der Stäbchen und Zapfen begründet. (Näheres dazu bei van Duijn jr.; dort weitere Literturangaben.) Mit entspanntem Auge können wir lange in ein optisches Instrument blicken, ohne zu ermüden. Leider erschwert die übliche Bauart unserer Mikroskope das, denn sie sind so gebaut, daß die Kopfhaltung 30 bis 45 Grad geneigt ist. Und da spielt eine viele Millionen Jahre alte, bewährte Steuerungsregel in unserem Großhirn nicht mit. Schon das suchende Auge unserer vor-äffischen Vorfahren war nach kleiner Beute in der Nähe oder Freßfeinden in der Ferne auf "Naheinstellung auf Unendlich" fokussiert, die Augenmuskeln waren entspannt. Richteten sie den Blick zu Boden, so mußten die Augenmuskeln angestrengt arbeiten, um der Augenlinse eine stärkere Krümmung zu geben, ihre Brennweite zu verringern und auf Naheinstellung zu gehen. Das war wohl die Ausnahme, denn in der Nähe arbeitete vorzugsweise die Nase. Und noch immer steuert unser Hirn die Augenmuskeln nach dieser Regel. Kopf hoch: Augenlinse auf Fernsicht eingestellt, Augenmuskeln entspannt; Kopf gesenkt: Augen auf Nähe fokussiert, Steuerungs- und Muskelarbeit.

Viele Menschen können tagelang Bücher lesen, ohne daß sie ihre "Augen überanstrengen", wenn Sie nur den Kopf dabei nach unten senken. Wer es anders macht, ermüdet meist innerhalb weniger Minuten. Das Großhirn versucht dann in immer kürzeren Abständen die Nahfokussierung der Augenlinse und die Augenmuskeln auf "Ferne" zu korrigieren, weil Hals und Kopf beim Blick auf das Buch nicht abwärts geneigt sind - und wir kämpfen mit unserem Willen gegen unser eigenes Großhirn an, das macht müde!

Beim Blick ins Mikroskop empfängt unser Großhirn von den Halsmuskeln das Signal "Kopf nach unten" und stellt deshalb die Augenlinse automatisch auf Nähe ein. Unser instinktives Wissen, daß sich das kleine Mikroobjekt ganz in der Nähe, nämlich auf dem Objektisch des Mikroskops befindet, unterstützt diesen Steuerungsimpuls noch unbewußt. Besonders "Anfänger" haben damit große Schwierigkeiten. Nur durch dauernde Übung können wir das Großhirn austricksen. Ein intensiver Blick auf weiße Wolken, Fernsehantennen oder Zweige von Bäumen in einiger Entfernung stellt die Augenlinse auf Unendlich. Dann sollte man die Augen rasch an die Okulare bringen, bevor die Steuerungszentrale wegen der Kopfneigung nach unten wieder auf Nähe fokussiert! Das muß man oft üben. Wir sollten immer darauf achten, daß wir nicht auf oder in das Mikroskop hinein sehen, sondern hindurch.

Ich selbst habe eine ganz persönliche Methode. Ich schwebe als Adler hoch auf den Wallberg, blicke von dort auf das fern unten liegende Tegernsee, die winzigen Häuser, die Gärten, den silbrig schimmernden Milchtransporter vor der Molkerei. Das kann ich mir vorstellen, ohne die Augen von den Okularen zu nehmen. So kann ich länger als zwei Stunden eine Amöbe durch das Präparat verfolgen - ohne Ermüdung!

Was das mit Mikrofotografie zu tun hat? Beim visuellen Mikroskopieren mögen wir bei falscher Augeneinstellung ermüden und Kopfweh bekommen, aber wir können das Präparat dennoch scharf sehen, indem wir mit dem Fokussierknopf die Schärfe auf unsere falsch eingestellten Augen einregeln. Aber der Film in der Kamera läßt sich beim Fotografieren nicht irreführen, hat keine Augenmuskeln, kein Großhirn, das ein Bild als noch innerhalb der eigenen Toleranzgrenzen befindet und Fünfe gerade sein läßt. Er zeichnet das unscharfe Bild unbarmherzig unscharf auf.

Besonders jüngere Menschen, aber nicht nur sie, haben Schwierigkeiten mit der Scharfeinstellung bei schwachen Vergrößerungen, bei denen ja das Bild wegen des geringeren Abbildungsmaßstabs eine größere Schärfentiefe aufweist. Nicht ganz scharf eingestellte Objekte können sie häufig dennoch scharf sehen, weil sie dank der in ihren Jugendjahren noch größeren Akkomodationsfähigkeit der Augenlinse den Einstellfehler ausgleichen können. Das Auge beobachtet dann nicht entspannt und man sieht ein Objekt scharf im Okular, das in Wirklichkeit eben doch nicht scharf eingestellt ist. (Beispiel: Akkomodationsbreite in Dioptrien im Alter von 20 Jahren: 10; 40 Jahre: 6; 60 Jahre: 1,4.) Trotzdem können wir auch in so einem Fall eine unscharfe Aufnahme vermeiden, nämlich durch die Kontrolle auf Parallaxe.


Die Kontrolle auf Parallaxe

Bei höheren Vergrößerungen, ist ein Bild auf dem Film in der Kamera scharf eingestellt, wenn wir es im Klarscheibensucher der Kamera, im Einstellokular oder im Trinokulareinblick gleichzeitig mit dem Doppelfadenkreuz scharf sehen. Bei allen Abbildungsmaßstäben können wir die richtige Scharfeinstellung mit großer Sicherheit kontrollieren, indem wir mit dem Doppelfadenkreuz im Okular das Bild auf Parallaxe prüfen.

Was sich dabei abspielt, erklärt anschaulich Gerlach (1976). Wir legen eine Büroklammer auf die Seite, die wir soeben lesen, bewegen den Kopf leicht hin und her. Die Buchstaben unter der Klammer behalten ihre Lage bei. Nun heben wir die Klammer einige Zentimeter über die Buchseite und bewegen wieder den Kopf. Die Buchstaben wandern unter der Büroklammer hin und her. Klammer und Buchstaben liegen nicht in derselben Schärfenebene! Mit dieser Methode prüfen wir, ob das Objekt scharf eingestellt ist. Zuvor stellen wir das verstellbare (fokussierbare) Okular mit dem Doppelfadenkreuz auf unser Auge ein, und zwar mit "entspanntem Auge", so daß die Doppellinien des Fadenkreuzes klar getrennt sind und wir die senkrechten wie auch die waagerechten gleichermaßen scharf sehen! Am besten gelingt das, wenn wir das Okular aus dem Tubus ziehen und mit ihm wie mit einem Fernrohr aus dem Fenster schauen, die Augen stellen sich dabei - Kopf hoch! - auf Fernsicht ein. Gelingt es nicht, so liegt vielleicht eine stärkere Fehlsichtigkeit vor. Das eingestellte Fadenkreuzokular wieder in den Tubus stecken.

Wir bewegen die Augen vor dem Okular hin und her und schauen dabei unverwandt auf das Fadenkreuz. Scheint es sich gegenüber dem Objekt zu verschieben, so ist dieses noch nicht scharf eingestellt. "Augen etwas hin und her bewegen" oder den "Kopf leicht schwenken", wie wir es in vielen Anleitungen lesen, ist aber ungenau. Man muß es richtig machen, nicht wie bei Wilhelm Busch: "Über diese Antwort des Kandidaten Jobses geschah allgemeines Schütteln des Kopfes." Man verschiebt den Kopf seitlich vor dem Okular, oft genügt schon so wenig, daß man meint, es sei nur ein einziger Millimeter gewesen. Das Objekt scheint dann vor oder hinter dem Fadenkreuz einen regelrechten kleinen Sprung zur Seite zu machen. Man muß das üben! Viele Mikroskopiker haben damit Schwierigkeiten, weil sie wilde Kopfbewegungen vor dem Okular vollführen. Wenn Parallaxe vorliegt, das Objekt also einen kleinen Sprung macht, Fadenkreuz und Objekt sich verschieben, drehen wir ganz vorsichtig am Feintrieb, bei stärkeren Vergrößerungen genügen manchmal winzigste Drehungen bis die Verschiebung nicht mehr auftritt. Dann wird das Bild auf dem Film scharf. Wenn die Kamera mit dem Mikroskop und Einstellokular mit Fadenkreuzstrichplatte richtig zueinander justiert sind, gilt: Fadenkreuz und Bild im Einstellokular gleichzeitig scharf bedeutet scharfes Bild - ob mit oder ohne Brille, mit oder ohne Sehfehler. Wenn es trotzdem nicht scharf ist, gibt es nur eine mögliche Ursache: das Bild wurde durch Vibrationen während der Belichtung verdorben, oder ein Papierbild beim Vergrößern.


Wie wir die Okulare richtig einstellen

Nicht gut eingestellte Okulare sind die häufigste Ursache von Kopfschmerzen und Überanstrengung der Augen bei Mikroskopbenutzern. (Bei "echten Mikroskopikern" kommt das nicht vor.) Wie man Okulare an einem Binokular richtig auf die eigenen Augen einstellt, gehört zwar nicht direkt zum Thema Mikrofotografie, doch wenn man es nicht richtig macht, kann das Bild auf dem Film nicht optimal scharf sein. Bei der folgenden Anleitung gehen wir davon aus, daß die Kamera auf dem Mikroskop richtig justiert ist. Wie man das macht, lesen wir in einem späteren Beitrag zum Thema Anpassung von Mikroskop und Kamera.

Für die Mikrofotografie mit einem Trinokular-Tubus braucht man ein Fotookular (das wir hier nicht betrachten) und zwei Okulare gleichen Typs mit verstellbarer Augenlinse. Bei diesen Okularen sitzt die Augenlinse in einer Gewindefassung und kann durch Drehen in der Höhe verstellt werden. (1) Wir stellen das Okular mit der Formatstrichplatte und Fadenkreuz durch Drehen an der Augenlinsenfassung auf das betreffende Auge so scharf, daß wir alle Linien des Doppelfadenkreuzes sauber getrennt, scharf und kontrastreich sehen. Wir machen das mit entspanntem Auge, und zwar mit demjenigen, das auch hinterher in dieses Okular sehen soll. Das andere Auge kneifen wir dabei nicht etwa zu, sondern schieben ein Stück steifes Papier davor, weil sich die Muskelarbeit des Zukneifens eventuell auf das offene Auge überträgt und dann zur Fehlfokussierung führt. Bei leichten Augenfehlern kann es vorkommen, daß wir die senkrechten und die waagerechten Fadenkreuzlinien nur mühsam gleichzeitig scharf sehen, zumindest nicht mit gleich gutem Kontrast. Keine Panik, das ist nicht schlimm. (2) Okular ohne es zu verstellen in den Tubus stecken. (3) Jetzt das andere Auge wieder abdecken (wie zuvor) und das Strichplattenokular mit einem mittleren Objektiv, am besten 40:1, am Feintriebknopf auf ein feines Detail ohne Tiefenausdehnung scharfstellen. Wir merken uns genau, wie dieses Objektdetail scharfgestellt aussieht. (4) Dann warten wir 10 Sekunden, bis sich das bisher abgedeckte Auge normalisiert hat, decken nun das erste Auge ab und stellen das zweite Okular ebenfalls mit dessen fokussierbarer Augenlinse auf das gewählte Objekt scharf, bis es so aussieht wie durch das erste Okular - mit entspanntem Auge und ohne den Feintrieb des Mikroskops zu berühren! (5) 10 s warten, dann Objekt mit beiden Augen betrachten; am Feintrieb spielen. Das Bild muß jetzt optimal sein.

Wenn der Beobachter Astigmatismus hat, ergibt sich eine geringfügig unterschiedliche Auflösung von Details, die in unterschiedlichen Bildwinkeln ausgerichtet sind. Das bleibt aber fast immer unmerklich und strengt das Auge nicht an.

Ich halte es nicht für sinnvoll, die Strichmarkierungen an den Okularen für deren Einstellung auf die eigenen Augen zu kennzeichnen, damit man die Einstellung schnell wiederherstellen kann, wenn sie einmal verstellt sein sollte, z. B. für einen anderen Benutzer. Die "Sehstärke" unserer Augen bleibt nämlich nicht den ganzen über Tag gleich, je nach Ermüdung. Deshalb muß man die Einstellung beider Okulare stets von neuem überprüfen, sobald man sich ans Mikroskop setzt. Wer das nicht tut und längere Zeit mikroskopiert, riskiert Kopfweh.

Fazit: Wer sich an die Empfehlung Tri-Tubus mit Formatstrichplatte und Fadenkreuz hält, braucht keine Klarscheibe in der Kamera. Um die Kamera ein für alle Mal genau auf dem Tubus zu justieren, genügt die normale Einstellscheibe mit den zwei klaren Meßkeilen. Das ist zwar mühsam, aber irgendwie schafft man es doch, das Objekt in einem der beiden Meßkeile scharf zu sehen und darauf zwecks Abstimmung scharf einzustellen. Diese Schwierigkeit ist hinnehmbar, weil man das nur selten macht, z. B. wenn der Aufsatztubus auf dem Mikroskop versehentlich dejustiert wurde.

Die Klarscheibe braucht man allerdings für Lupenaufnahmen, etwa im Maßstab von 5:1 bis 25:1 und größer. Bei geringeren Maßstäben als 1:1 genügt die normale Einstellscheibe. Bis etwa 5:1 ist eine sehr feinkörnige Vollmattscheibe ohne irgendwelche zusätzlichen Einstellhilfen zweckmäßig. Wo die tatsächlichen Grenzen für die verschiedenen Einstellscheiben liegen, muß man ausprobieren. Es gibt da große Unterschiede bei den einzelnen Kameramodellen.


Literatur

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Krauter, D.: Die Mikrobox. In: Mikrokosmos 44 (1954/55) 163 - 165.

Möllring, F. K.: Mikroskopieren - von Anfang an. Carl Zeiss, Oberkochen 1980.

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Dieser Artikel wurde erstmals in unserer Vereinszeitschrift µ Nr. 15 (Juni 1999) veröffentlicht.



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