100 Jahre      Mikrobiologische Vereinigung München e. V.     1907 - 2007
 


Über Mikrofotografie

Serie von Klaus Henkel

Verwackelt und verzittert

E = 1/2 . m . v2


Systemkameras der Mikroskophersteller enthalten nur wenige Teile, die sich bei der Aufnahme bewegen. Ihr Zentral-Lamellenverschluß ist auf Gummipuffer gelagert und überträgt keine Unschärfe durch Vibrationen auf das System Mikroskop und Kamera. Solche Systemaufsetzkameras sind teuer, machen aber keine besseren Bilder als einfachere Einrichtungen, die nur ein Zehntel des Preises kosten. Deshalb wählt nicht nur der Amateur gerne die einäugige Spiegelreflexkamera (Single Lens Reflex - SLR) mit Schlitzverschluß.

Bei den meisten einäugigen SLR knallt der Umlenk-Schwingspiegel im Kameragehäuse, der das Bild auf die Suchereinstellscheibe leitet, vor dem Auslösen des Verschlusses nach oben gegen den Metallrahmen des Prismengehäuses, der aus diesem Grunde mit einem Dämpfungsmaterial gepuffert ist. Der Anschlag daran stoppt die Spiegelbewegung abrupt. Die Dämpfungsmasse, meist ein feinporiger Schaumstoff, soll den Schlag so weich wie möglich abfangen. Mitunter zerbröselt er nach einigen Jahren. Die klebrigen Krümel müssen dann vom Herstellerservice aus den für unsereins unzugänglichen Ecken des Kameragehäuses entfernt werden. Eine elegantere Technik - bei der Leicaflex von Leitz und der Contarex von Zeiss Ikon eingeführt - fängt die Spiegelbewegung dicht vor dem Metallrahmen des Prismengehäuses weich in sich selbst auf, ohne daß der Spiegel ihn überhaupt berührt. Das wird mit einem sogenannten Kurbelschleifengetriebe erreicht, das die rasende Spiegelbewegung leerlaufen läßt, bis sie ganz dicht, etwa einen halben Millimeter vor dem Metallrahmen des Prismengehäuses mit der "Geschwindigkeit Null" ankommt. Eine Dämpfungs- oder Puffermasse am Rahmen gibt es deshalb bei diesen Kameras nicht.

Solche Dämpfungstechniken sind nicht unwichtig, können aber unscharfe Mikroaufnahmen durch Vibrationen dennoch nicht verhindern. Diese entstehen nämlich gar nicht alleine durch die Anschlag-Erschütterungen von Spiegeln oder Springblenden, sondern hauptsächlich durch die kinetische Energie, die durch Beschleunigen und Abbremsen der Spiegel- und Verschlußmassen freigesetzt wird, egal auf welche Weise das realisiert ist. Entscheidend ist das Produkt aus der bewegten Masse und dem Quadrat der Geschwindigkeit. Aus diesem Grunde verwenden manche "Präzisionsfirmen" eben ein Kurbelschleifengetriebe und einen ganz dünnen Spiegel mit wenig bewegter Masse. Firmen, denen die Herstellung eines so dünnen Spiegels und eines Kurbelschleifengetriebes zu teuer ist, lassen eben an Schaumstoff "anschlagen". Ein Beispiel für die Beschleunigungskräfte: Die Lamellen eines Zentralverschlusses werden in 0,001 s auf 50 km/h beschleunigt und wieder abgebremst! Kein Wunder, daß solche Kräfte die ganze Einrichtung von Kamera samt Mikroskop bei bestimmten Verschlußzeiten schwingen und vibrieren lassen - noch bevor der Spiegel an seinem oberen Totpunkt ankommt bzw. anschlägt - mit oder ohne Kurbelschleifengetriebe!

Gerade des Mikroskopikers liebste japanische Kamera, die Olympus OM mit dem Gummituchschlitzverschluß, ist eine solche Energieschleuder. Die beiden Gummituchvorhänge laufen nicht senkrecht von oben nach unten, sondern seitlich von rechts nach links ab. Die Bewegung ist also einseitig gerichtet und regt die Kamera damit zu Schwingungen geradezu an. Hinzu kommt, daß diese asymetrisch gebaut ist, der bewegliche Verschluß sitzt nicht in der Mitte der Kamera und läuft obendrein von der längeren zur kürzeren Kameraseite hin ab, das verstärkt die Vibrationen noch. Auch der Spiegel ist asymetrisch angeordnet. Ein Fotoamateur hat einmal aufgrund einer Annonce in einer Fotozeitschrift viele Telefonanrufe aus ganz Europa erhalten, in denen die Anrufer ihren "kinetischen Kummer" mit gerade dieser Kamera mitteilten. Die meisten hatten Probleme mit Teleobjektiven auf dem Stativ. Es waren aber auch Mikroskopiker darunter.

Besonders schlimm zerrt die Spiegelbewegung beim Hochformat. Sie wirkt drehend, verwindend auf ein Stativ, nicht verbiegend wie im Querformat. Alle Stative sind jedoch weit weniger verwindungs- als verbiegungssteif. Gegen solche Verwacklungsursachen auf dem Stativ hilft entscheidend die Spiegelvorauslösung, sofern die Kamera mit dieser recht seltenen Einrichtung ausgestattet ist. Einen Teil der Vibrationen kann man damit vermeiden. Der Umlenkspiegel wird per Hand durch einen Hebel am Kameragehäuse hochgeklappt und erst danach, wenn die durch diese Manipulation verursachten Schwingungen abgeklungen sind, der Verschluß ausgelöst. Diese Spiegelvorauslösung haben nur sehr wenige Kameramodelle, darunter auch die Olympus OM 1 - die OM 2, 3, 4 jedoch nicht. (Bei der OM 4 TI kann man den Selbstauslöser benützen: Schon bei der Auslösung klappt der Spiegel hoch, dann ebben die Vibrationen ab, und nach 10 Sekunden löst berührungsfrei der Verschluß aus.)

Die Spiegelvorauslösung kann aber keinen ungleichmäßigen Verschlußablauf beseitigen. Deshalb hilft sie dem Mikrofotografen selten. Denn allzuoft verursacht gar nicht die Spiegelbewegung die stärksten Vibrationen, sondern der Verschlußablauf. Es ist ein regelrechtes Gezurre und Gezerre, bis die gespannte Feder die Verschlußvorhänge an der Bildbühne vorbei auf die andere Seite hinübergezogen hat, von einem gleichmäßigen, ruckfreien Ablauf kann keine Rede sein. Noch dazu erfolgt er gerade dann, wenn die rasende Spiegelbewegung die Kamera ohnehin gerade in einen labilen Zustand versetzt hat. Bergner, Gelbke, Mehliss (Einführung in d. prakt. Mikrofotografie. 1. Aufl. VEB Fotokinoverlag Halle 1961) geben an, daß bei Abbildungsmaßstäben ab 100:1 Schlitzverschlußkameras durch ungleichmäßigen Verschlußablauf in ruckartigen Intervallen im gesamten Zeitenbereich von 1/1.000 bis 1/5 s zonenweise Unschärfe verursachen und belegen das mit eindrucksvollen Bildbeispielen. Je kürzer (!) die Verschlußzeit und je höher der Vergrößerungsmaßstab, umso stärker (!) machten sich die Unschärfen durch den Verschlußablauf auf dem Film bemerkbar. Dieses Problem mit Schlitzverschlußkameras auf dem Mikroskop war schon in den dreißiger Jahren wohlbekannt. Deshab wurden die Kameras Leica, Contax, Exakta Varex auf einen Mikrokamera-Grundkörper gesetzt, dieser am Mikroskoptubus festgeklemmt. Der kräftig schlagende Schlitzverschluß der Kamera wurde dann auf "T" gestellt ("Tungsten" = Kunstlicht: Verschluß ständig offen), und belichtet wurde mit einem gummigepufferten Zentralverschluß in besagtem Grundkörper. Moderne Spiegelreflexkameras mit dem für Mikrofotografie besser geeigneten Zentralverschluß sind aber nicht auf dem Markt.

Wer Vibrationsproblene hat, kann bei einer Kamera, welche die Belichtungszeit noch während der Aufnahme mißt und steuert (Prinzip Olympus OM 2) - neben der eventuell vorhandenen Spiegelvorauslösung - folgende Methode anwenden. Lichtaustrittsöffnung der Mikroskoplampe mit einem lichtundurchlässigen Stück Pappe abdecken, Verschluß der Kamera auslösen, nach Abklingen der Vibrationen (2 bis 3 s) Pappe rasch wegziehen und warten bis die Kamera den Verschluß nach ausreichender Belichtung von selbst schließt. Vibrationen und Verwacklungen sind dabei ausgeschlossen. Diese Methode ist auch bei älteren Kameras ohne Automatik anwendbar. Man mißt die Belichtungszeit. Dann dämpft man mit Graufiltern die Beleuchtung so weit, daß die resultierende Belichtungszeit im Bereich von 2 bis etwa 5 Sekunden liegt. (Berechnung aufgrund des Dämpfungsfaktors des Graufilters. Man verwende Filter eines namhaften, verläßlichen Herstellers, damit sie auch wirklich neutralgrau sind und auch dann keinen Farbstich verursachen, wenn man mehrere aufeinander legt, zumal das Farbverhalten von Tageslicht-Diafilmen in diesem Zeitenbereich sowieso kritisch ist, weil ihre Farbwiedergabe für eine Belichtungszeit von 1/125 s harmonisiert ist.) Verschluß auf T stellen (oder wenn T nicht vorhanden, auf B), mit schwarzer Pappe Lichtaustritt abdunkeln, Verschluß öffnen (bei B mit Drahtauslöser festklemmen), Pappe wegnehmen, die Sekunden zählen (Belichtungsverlängerung wegen des Schwarzschildschen Faktors gemäß Datenblatt des Filmherstellers berücksichtigen!), Pappe wieder auf den Lichtaustritt legen, Verschluß schließen.

    Grundsätzlich meidet man bei Spiegelreflexkameras mit Schlitzverschluß folgende Belichtungszeiten: 1/30 bis 1 s. Sie werden oft durch die Massenbeschleunigungskräfte "verzittert", die meist asymetrisch am Kameragehäuse wirken.

Die sicherste Methode, mit der man den geschilderten Schwierigkeiten aus dem Wege geht: blitzen. Und zwar mit einem von der Kamera gesteuerten TTL-Blitz, denn nur mit ihm erreicht man die kurzen Belichtungszeiten, die ein Verzittern mit hoher Sicherheit ausschließen. Auch der ungleichmäßig ablaufende Schlitzverschluß wird dabei ausgetrickst, denn die Belichtung auf dem Film erfolgt ja durch die Leuchtdauer des Blitzes und nicht durch die Offenzeit des Verschlusses. Wenn es sich nicht gerade um eine "Phasenkontrastaufnahme bei Nacht im Kohlenkeller" und tausendfacher Vergrößerung handelt, braucht der Blitz nur einen kleinen Teil seiner Energie, die Blitzdauer liegt dann zwischen 1/5000 und 1/40000 s. Bei dieser kurzen Belichtungszeit mögen Kamera und die gesamte Apparatur zittern, schwingen und vibrieren, der Blitz ist schneller! Also wieder einmal: Blitzen!

Bei stark lichtschluckenden Beleuchtungsarten und hoher Vergrößerung, wie Phasen- oder Interferenzkontrast, eventuell noch in Kombination mit geringempfindlichem Film, gerät ein Amateur-Blitzgerät dann aber doch an seine Leistungsgrenzen. Der Computerblitz belichtet dann lange, zum Beispiel 1/500 sek. Da können schon Verwacklungen entstehen, aber erfahrene Mikrofotografen bestätigen, daß sie nur sehr selten vorkommen.

Eine weitere Ursache dafür, daß die gesamte Apparatur häufig zittert, sind die gutgemeinten Gummifüße unter dem Mikroskopstativ. Sie sollen Schwingungen dämpfen, bewirken aber nach meinen Erfahrungen das genaue Gegenteil. Viele meinen, daß es sich beim Fotografieren nicht auswirkt, wenn die gesamte, in sich stabile Apparatur, also Mikroskop, Kamera und der Kameraansatz, auf den Gummifüßen schwingt. Die Praxis beweist aber, daß das nicht zutrifft. Bei Aufnahmen vom "Leben im Wassertropfen" sowieso nicht, Wasser ist kein stabiles Element des Gesamtsystems. Ich habe die leidigen Gummifüße, die heutzutage meist nicht mehr aus Gummi, sondern einem normalen Möbeln nicht zuträglichen Kunststoff bestehen, schon längst von meinem schönen Zeiss-Mikroskop abgeschnitten und abgerubbelt und lege jetzt unter die drei Metallvorsprünge, an denen vormals die Gummis saßen und die nun als Füße dienen, passende Stücke von einem Andechser Bierfilz. Seitdem zittre nur noch ich selbst, ob die Aufnahmen gelingen werden, die Apparatur steht stabil.


Dieser Artikel wurde erstmals in unserer Vereinszeitschrift µ Nr. 16 (September 1999) veröffentlicht.



Zur MVM Startseite