Das Schneiden in der MikroskopieErster TeilEinführungVon Klaus Henkel
Warum schneiden ?Das Betrachten der Oberfläche biologischer Objekte vermittelt etliche Erkenntnisse. Die meisten davon können wir aber erst dann richtig einordnen und beurteilen, wenn wir ins Innere einer Pflanze oder eines Tieres schauen. Viele hyaline, glasklar-durchsichtige Wasserorganismen müssen wir nicht eigens schneiden, sie offenbaren ihr Inneres. Die Organe und ihre Funktionsweisen sind klar erkennbar. Bei Pflanzen und Tieren mit einer gefärbten oder dicken Haut oder Umhüllung ist nur die Oberfläche sichtbar, doch das eigentliche Leben spielt sich innen ab. Naturwissenschaftler und Mediziner wollen deshalb den inneren Aufbau sehen und studieren, den Bau und die Funktionen der Organe begreifen, erkennen, wo und wie Leben entsteht und heranwächst. Also muß das Innere sichtbar gemacht werden. Dazu gibt es verschiedene Techniken. Man kann ein Organstückchen chemisch erweichen und dann mit Präpariernadeln zerzupfen, um die einzelnen Teile eines Organs kennenzulernen, oder man kann ein Objekt quetschen, bis sie heraustreten. Diese wichtigen und wertvollen Methoden werden häufig angewandt, doch geht bei ihnen der Zusammenhang verloren, die natürliche Struktur des Organs wird zerstört. Man könnte das Objekt bleichen, durchsichtig machen. Aber das Mikroskop liefert wegen seiner starken Vergrößerungen nur Bilder von geringer Schärfentiefe, deshalb können wir nicht weit genug in ein Objekt hineinsehen, die Abbildungstiefe endet bereits dicht unter seiner Oberfläche, dicke Objekte mit stärkerer Vergrößerung zu betrachten, ist deshalb nicht sinnvoll. Mit einem dünnen Schnitt durch ein Objekt, den wir flach zwischen zwei Glasplatten - Objektträger und Deckglas - montieren, erreichen wir dagegen zweierlei: Es gleicht nun einem eingeglasten Dia, und das Licht des Mikroskops durchstrahlt es mühelos, wie das Projektorlicht das Dia. Das Mikroskopobjektiv findet eine plane abzubildende Fläche in der eingestellten Schärfenebene vor. Und wir sehen das "Innenleben", zwar nur in einem etwa 5 bis 50 µm (5/1000 bis 50/1000 mm) dünnen Scheibchen, doch können wir mit dem Feintrieb des Mikroskops eine Schicht nach der anderen ansehen und auf diese Weise den räumlichen Aufbau erkennen. Das mag umständlich erscheinen, dennoch ist es die einfachste und schnellste Methode. Aber was auch immer das Ziel sein mag, der mikroskopische Schnitt ist die Grundlage der Erkenntnis, das Schneiden die grundlegende mikroskopische Arbeitstechnik. Kann man alles schneiden ?"Jeder erfahrene 'Mikrotomist' weiß, daß es Objekte gibt, die schwer oder gar nicht zu schneiden sind, und er weiß aus Erfahrung, welche das sind. Seltsamerweise wird darauf in einschlägigen Lehrbüchern kaum hingewiesen. So glaubt der Anfänger, man könne nahezu alle tierischen und pflanzlichen Organe in Paraffin einbetten und mühelos in dünnste Schnitte zerlegen."
"Man schneidet die Objekte so klein wie möglich zu, am besten schon vor dem Fixieren. Sind die lebensfrischen Objekte so weich oder wasserreich, daß man größere Stücke fixieren muß, kann man sie nach der Härtung in 96-prozentigem Alkohol mit einer Rasierklinge zurechtschneiden. Nur selten muß man eine Kantenlänge von 5 mm überschreiten. In Paraffin gut schneidbar und zur Einführung in die Mikrotomtechnik zu empfehlen sind aus dem Bereich der Botanik: in Wasser gezogene Wurzelspitzen, Fruchtknoten, Sproßspitzen, junge, krautige Blätter, krautige Stengel mit nur schwach verholzten Leitbündeln. Leicht schneidbare tierische Objekte sind alle inneren Organe von Amphibien (mit Ausnahme von Augenlinse und Eierstock), innere Organe nestjunger Säugetiere, embryonale Organe.
Schwer schneidbar sind bei Pflanzen krautige Stengel und Blätter mit stark verholzten Gefäßteilen und Sklerenchymsträngen. Bei Tieren sind stark verhornte oder chitinisierte Hautdecken schwer zu schneiden, ebenso dotterreiches Material und eiweißreiche Drüsen. Hand- oder Mikrotomschnitt ?Die meisten Anfänger in der Mikroskopie sehen im Mikrotomschnitt das Ideal und sind nur schwer oder gar nicht dazu zu bewegen, ein Rasiermesser in die Hand zu nehmen. Nicht selten begegnet man deshalb Liebhabermikroskopikern, die sich ein teures wie auch kompliziertes Mikrotom angeschafft haben. Da ihnen jedoch die althergebrachte Paraffineinbettung einerseits zu umständlich ist, sie andererseits deren oft beschriebene Nachteile überbewerten, suchen sie dann nach alten und neuen Methoden angeblich einfacherer Kunstharzeinbettung, um Schnitte von Pflanzenstengeln, Wurzeln oder Blättern anzufertigen, also von Objekten, die man ebenso gut mit einem Rasiermesser aus der freien Hand ohne jede Einbettung schneiden kann, zu einem winzigen Bruchteil des Aufwandes an Zeit und Geld und mit einem Ergebnis, das sich nach einigen Wochen Übung durchaus sehen lassen kann. Die Mühe lohnt sich, denn: Was man an einem Mikrotomschnitt sehen kann, das zeigt auch ein guter Handschnitt.
Ein guter, gefärbter Handschnitt ist deshalb kein minderwertiger Ersatz für einen Mikrotomschnitt, sondern ein vollwertiges Präparat für Studienzwecke. Oft wird eingewandt, das sei ja gerade das Problem: gute Handschnitte herzustellen. Doch ist der Einwand nicht stichhaltig, denn einen guten Mikrotomschnitt anzufertigen, ist noch viel schwieriger. Und die vielen, zum Teil komplizierten, zusätzlichen Arbeitsschritte beim Mikrotomschneiden nötigen dem Liebhaber von Freihandschnitten nur ein mildes Lächeln ab. Ihn kümmern nicht die unterschiedliche Luftfeuchtigkeit im Sommer oder Winter, nicht die Raumtemperatur, nicht der Glyzeringehalt oder Bienenwachsanteil des Paraffins, nicht die Temperaturkonstanz seines Wärmeschranks, nicht die unbekannte Schmelztemperatur eines Einbettmittels, dessen Herkunft man vergessen hat, nicht Anstell- Frei-, Keil-, Schneiden-, Neigungs- und Abzugswinkel des Mikrotommessers, nicht die zeitaufwendige Justierung und die anschließende Säuberung und das ständige Einölen des Mikrotoms. Er nimmt sein Objekt einfach zwischen zwei Finger, klappt das Rasiermesser auf – schnipp – schon liegt ein Schnitt vor ihm. Vielleicht ist er anfangs nicht wirklich gut, doch wenn man fleißig übt, bald immer besser. Daß ein Handschnitt unter normalen Bedingungen nicht so dünn gelingen kann wie ein Mikrotomschnitt, ist keinesfalls als Nachteil zu werten. Botanische Schnitte, die beim "Durchfokussieren" mehrere Lagen Zellen übereinander zeigen, bieten gerade dadurch Informationen über den räumlichen Aufbau des Gewebes, die dem allzu dünnen Mikrotomschnitt fehlen. Doch auch wenn ein dünnerer Schnitt erwünscht ist, gelingen mit der Handschnittechnik und einem Kleinmikrotom bei sorgfältiger Arbeit Schnitte von 10 µm. Das ist auch für einem Mikrotomschnitt in den allermeisten Fällen dünn genug. Für noch dünnere Schnitte oder für Schnittserien braucht man aber ein Mikrotom. Jenseits von 1 µm beginnt dann der Bereich des Dünnschnitts, der für manche Zwecke in der Forschung und vor allem für die Durchlicht-Elektronenmikroskopie erforderlich ist. Bezeichnenderweise sind es gerade die erfahrenen "Mikrotomisten", die auf den Handschnitt nicht verzichten möchten. Eine gute Angewohnheit ist es nämlich, vor einem beabsichtigten Mikrotomschnitt mit einem schnellen Handschnitt zu prüfen, ob die richtige Stelle für den Schnitt gefunden bzw. das Objekt überhaupt tauglich ist. Diese Vorstufe zum Mikrotomschnitt war früher gang und gäbe in der Wissenschaft, vor allem in Forschung und Lehre, wo langwierige, personalintensive Einbettungs- und Färbemethoden nicht unüblich sind und man sich zuvor vergewissern muß, ob ein Objekt den Aufwand an Zeit und Material überhaupt lohnt. So wie die Lehrbücher der mikroskopischen Optik und der Anwendung des Mikroskops in der Regel von führenden Mitarbeitern der Mikroskophersteller geschrieben sind, stammen die besten Anleitungen zum Herstellen von Schnittpräparaten von Mitarbeitern der Mikrotomhersteller - in deutscher Sprache von Leitz in Wetzlar, Jung in Heidelberg/Nußloch und Reichert in Wien, alle drei heute Bestandteile der Leica Microsystems AG, Wetzlar. Daß die Fachleute der Mikrotomhersteller seit eh und je wenig Neigung verspüren, auch die einfache Handschnitt-Technik mit ihren praxiserprobten Tricks und Kniffen in ihren Werken ausführlich zu behandeln, ist bedauerlich, doch verständlich. Leider hat das dazu geführt, daß der Freihandschnitt auch in der Ausbildung an den Universitäten nicht mehr so ganz ernst genommen wird und zu Unrecht nur mehr als eine spezielle Anfängertechnik für Liebhabermikroskopiker und studentische Erstsemester betrachtet wird. Deshalb möchte ich mit meiner Darstellung der mikroskopischen Schneidetechnik manche Erfahrungen und Anleitungen zum guten Handschnitt aus über 150 Jahren vor dem Vergessen bewahren. Dabei ist das A und O des guten Handschnitts die wichtige Pflege der Messer, das Schärfen auf Stein und Abziehen auf dem Riemen. Auch diese handwerklichen Techniken sind ein Beispiel für in den letzten Jahrzehnten verlorengegangenes Wissen - übrigens nicht nur in der Mikroskopie. In der mikroskopischen Technik haben dazu ohne Zweifel die modernen, zeitsparenden, aber teuren Einmalklingen beigetragen. Um so mehr Bedeutung gewinnt die alte Handwerkskunst mit Wetzstein und Leder augenblicklich wieder in der Amateurmikroskopie, weil die von den professionellen Anwendern ausrangierten, großen stählernen Mikrotommesser vielfach auf Flohmärkten und Internetauktionen zu erschwinglichen Preisen feilgeboten werden. Das Material, der Wissensschatz ist umfangreich, in der Literatur weit verstreut und findet sich zum Teil an schwer zugänglicher Stelle. Vermischt mit den eigenen Erfahrungen ist daraus ein Sammelsurium geworden, das sich gegenüber den Bemühungen, es in eine logische Ordnung zu bringen, als etwas widerspenstig erwies. Dem Anfänger sei deshalb geraten, den gesamten Inhalt der vorliegenden Darstellung zunächst einmal zu überfliegen, um sich zu orientieren und sich dann erst Schritt für Schritt den einzelnen Themen intensiver zu widmen. Meine zusammenfassende Arbeit kann nur eine geraffte Darstellung sein, zusätzlich ist der Rückgriff auf die Fachliteratur notwendig. Als vertiefende Lektüre seien empfohlen: Adam und Czihak (1964), Böck (1989), Gerlach (1977), Romeis (1968), Stehli (1973). Die unten aufgeführte Literatur habe ich sorgfältig durchgesehen, jedoch nicht alle beschriebenen Verfahrensweisen übernommen. Manches ist durch neuere Erkenntnisse überholt, anderes hat sich nicht bewährt oder entspricht nicht meinen aus der Praxis stammenden Vorstellungen. Generell aber dürfen die älteren Werke nicht unterschätzt werden. Zum einen hat sich an der Handhabung von Mikrotomen und Messern seit einem halben Jahrhundert nichts geändert, zum anderen berichten die früheren Autoren noch ausführlich über "händische" Verfahren, die in neueren Werken gar nicht mehr erwähnt werden, die aber dem noch nicht voll-automatisiertem Hobby-Mikrotomisten gut zustatten kommen. Rom ist nicht an einem Tag erbaut worden, deshalb fehlen noch Teile in meiner Darstellung. Der "Bebauungsplan" ist am Schluß von Teil 4 ersichtlich. Vorschläge aus der Leserschaft zu den Baulücken sind willkommen. Ebenso freue ich mich über Hinweise auf neuere, noch nicht vergriffene Literatur sowie über Kritik und Anregungen zum Inhalt. Zurück zum Seitenbeginn Literaturzum Hand- und Mikrotomschneiden Werke mit Stern * vor dem Verfassernamen sind zur Zeit noch im Buchhandel (Juli 2005).
Bildquellennachweis 2.1, 2.3, 3.7, 3.8, 3.9, 3.12, 4.1, 4.2, 4.3, 4.4, 4.5, 4.7, 4.9 div. Prospekte der Firmen Jung AG, Nußloch, Reichert, Wien, Reichert-Jung und Leica Microsystems AG, Wetzlar; 2.5 Günther (1923); 2.6 Mayer (1914); Abb. 4.6 Krauter (1978); Abb. 3.6, 3.10, 4.10, 4.11, 4.12, 4.13 Walter (1981); Abb. 4.14 Jung (1958, Febr.); Abb. 4.15 Jung (1958, Okt.).Zum Teil Handschneiden oder Messer abziehen oder Mikrotomscheiden Zurück zum Seitenbeginn
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